Der Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer, Ilkay Gündoğan, ist Coverstar der Special Edition von Esquire Germany (jetzt im Handel). Der 33-jährige Mittelfeldspieler des FC Barcelona ließ sich völlig entspannt in seiner neuen Wahlheimat fotografieren. „Es war einer meiner Träume, einmal im Leben für Barcelona zu spielen. Schon als Kind gab es nichts Größeres für mich. Dementsprechend besonders war dann der Moment, als ich das Trikot zum ersten Mal tragen durfte.“
„Ich habe mit dem Begriff Deutsch-Türke überhaupt kein Problem!“
Auch abseits des Platzes hat für Gündoğan mit der Geburt seines Sohnes ein neues Kapitel begonnen. „Privat hat sich der Fokus komplett auf unseren Kleinen verschoben. Man will ihn am liebsten den ganzen Tag lang in Watte packen, damit nichts passiert. Gleichzeitig kreisen die Gedanken, sobald er mal hinfällt oder einen kleinen Husten hat. Man entwickelt auf gewisse Art diesen Beschützerinstinkt. Im Hinblick auf meinen Beruf hat sich nicht wirklich viel geändert.
Ich bin nach wie vor ein Wettkampftyp und da kann es schon mal passieren, dass ich das eine oder andere aus dem Beruf mit nach Hause nehme. Ich würde mir wünschen, in Zukunft ein wenig lockerer und entspannter zu werden. Damit tue ich mich, ehrlich gesagt, sehr schwer. Meine Frau würde an dieser Stelle wahrscheinlich sagen, ich sei emotionslos. Doch ich bin einfach ein Mensch, der sich ständig Gedanken jeglicher Art macht. So sehr, dass ich manchmal abends im Bett liege und nicht einschlafen kann, weil mein Kopf rattert.“
Die Kapitänsrolle – für Ilkay Gündoğan ein Privileg
Ilkay Gündoğan war noch von Hansi Flick zum Kapitän berufen worden. „Die Ernennung hat mich schon ein wenig überrascht. Vor allem, weil es ja beim DFB auch immer ein wenig von der Anzahl der Länderspiele abhängig gemacht wurde. Umso mehr habe ich mich natürlich über dieses Privileg gefreut und zusätzlich, als Julian Nagelsmann mir bei seinem Amtsantritt das Kapitänsamt noch einmal bestätigt hat.“
Zwischenzeitlich war nach der Rückkehr von Toni Kroos eine Diskussion aufgekommen, ob der Champions-League-Sieger von Real Madrid der bessere Kapitän sein könnte. Doch Gündoğan ist völlig überzeugt, dass er die richtigen Fähigkeiten mitbringt und benennt diese auch klar: „Ein gewisses Maß an Verantwortung. Wie gut kann ich die Menschen um mich herum verstehen? Bin ich empathisch? Wie kann ich Dinge und die Grundstimmung innerhalb des Teams positiv beeinflussen? Schlussendlich ist jeder in einer Gemeinschaft sehr individuell und man muss in der Lage sein, mit jedem auf Augenhöhe zu kommunizieren und sich in jeden hineinzuversetzen.“
Die wichtigste Charaktereigenschaft benennt Gündoğan auch: „Ehrlichkeit. Das ist das Wichtigste für mich. Nicht nur im Sport, sondern auch privat. Und das beginnt in erster Linie damit, auch ehrlich zu mir selbst zu sein. Dazu gehört es, sich Fehler einzugestehen und auch zu ihnen zu stehen. Ich denke, dass das eine enorm starke Charaktereigenschaft ist. Innerhalb des Teams gilt es dann natürlich auch, ehrlich zu meinen Mitspielern zu sein. Aus meiner Erfahrung heraus ist das der Grundstein für eine starke Gemeinschaft und um ein eingeschworener Haufen zu werden. Denn eines steht fest: Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir als Einheit agieren und uns unterstützen, egal, welche Probleme es gibt.“
Gündoğan möchte nicht auf das Deutsche oder das Türkische reduziert werden
Völlig locker nimmt der in Gelsenkirchen geborene Sohn türkischer Einwanderer die Diskussion rund um Diversitätsfragen in Sachen Nationalelf – das Interview fand vor der Veröffentlichung der ARD-Umfrage statt, in der ein signifikanter Anteil der Befragten Sorgen äußerte, die Mannschaft könnte zu divers besetzt sein.
Im Gegenteil: Es bedeutet ihm sehr viel, die Mannschaft als Deutscher mit Migrationshintergrund aufs Feld zu führen: „Für mich ist es eine große Ehre und ein Privileg. Es ist eine Rolle, in der ich mich wohlfühle und der ich gerecht werden möchte, sowohl intern als auch nach außen. Das geschieht primär durch sportliche Leistungen, aber auch durch Vorleben und Vermitteln von bestimmten Werten und Einstellungen. Die Menschen sollen sich mit der Nationalmannschaft identifizieren können, mit all ihren unterschiedlichen Charakteren und Einflüssen. Am Ende sind wir eine Gemeinschaft. Dort ist es nicht anders als in der Gesellschaft. Vielleicht haben sich auch einige noch nicht bewusst damit auseinandergesetzt – und ich kann entsprechend dazu beitragen.“
Auch mit einer speziellen Bezeichnung, die andere Menschen mit seinem kulturellen Hintergrund oft stört, kommt Gündoğan klar: „Ich habe mit dem Begriff Deutsch-Türke überhaupt kein Problem. Letztendlich ist es ja das, was ich bin. Ich möchte weder nur auf das Deutsche noch ausschließlich auf das Türkische reduziert werden. Ich trage beide Kulturen in mir und weiß beide sehr zu schätzen. Natürlich, und da bin ich ehrlich, birgt das ein gewisses Zugehörigkeitsproblem. Vor allem bei jungen Menschen. Wo gehörst du hin? Womit identifizierst du dich? Ich glaube, für Menschen, die keinen Migrationshintergrund haben, ist dieses Gefühl manchmal schwer zu greifen und zu verstehen.
Wir neigen als Gesellschaft oft dazu, Menschen kategorisieren zu wollen mit Fragen wie: „Bist du jetzt Deutscher oder bist du Türke?“ Ich persönlich würde das ungern limitieren, weil es keiner Seite gerecht werden würde. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, habe aber auch gleichzeitig eine große Verbundenheit zur Türkei, zu Familie und Freunden dort und versuche oft, hinzureisen.“