MEISER’S MORE
SCHEIN oder SEIN
Die Lust an der Täuschung
„Fake news“, also die bewusst verfehlte Darstellung der Wahrheit, ist nicht erst seit Donald Trumps Amtseinführung eine beliebte Methode, das, was ist, durch das, was nicht ist, zu ersetzen. Das Prinzip, auf dem die Täuschung beruht, ist dabei immer dieselbe: Was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr.“
Diese Erkenntnis stammt nicht etwas von Trumps Wahlkampfteam, sondern vom griechischen Redner und Staatmann Demosthenes (384-322 v.Chr.) und wurde seitdem durch alle Jahrhunderte hindurch von Politikern, Betrügern, Zauberern und Künstlern angewandt. Den Künstlern gebührt in dieser Trias freilich die rühmlichste Rolle, denn sie schaff(t)en es, entweder den Betrachtern zu zeigen, dass alles, was man wahrnimmt, Schein sein kann, oder mach(t)en auf Missstände aufmerksam, damit der Täuschung von Menschen Einhalt geboten wird.
Alles ist Schein
Die Münchner Kunsthalle hat sich nun dieser Thematik angenommen und mit der Ausstellung „Lust der Täuschung“ ein Instrumentarium geschaffen, mit dem man, lässt man sich darauf ein, erfahren kann, wie nahe Schein und Sein beieinander liegen. Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality unserer Tage reicht die Palette der rund 90 Exponate, welche das Publikum immer wieder in Staunen veretzt, wie z.B. der „Kachelraum ohne Ding Nr. 110“ des Künstlers Hans Peter Reuter ist oder römische Trompe l’oeil-Arbeiten aus der Antike.
Immer spielen die Künstler mit unserer Wahrnehmung. Denn Sehen ist Staunen und Sehen ist Glauben – eine objektive Wahrheit ist schon deshalb schwer feststellbar, da das Auge wesentlich schneller als das Gehirn agiert, weshalb wir auch gerne sagen: Der Schein trügt. Ist also alles Illusion?
Bei der Virtual Reality, die in der Kunsthalle in Form eines Werkes des Künstlerkollektivs „ToastVR“ und einer Arbeit von Laurie Anderson zu sehen ist, auf jeden Fall. Beim ersten Kunstwerk steht man hoch über den Straßen von New York auf einem Brett; ein Schritt noch und man fällt ins Bodenlose; bei der zweiten Arbeit schwebt man durch Häuserschluchten, die mit Worten, Buchstaben, Tönen, Stimmen angefüllt sind. Eine Reise zum eigenen Ich, aber auch zum Du und zum Wir. Und dennoch ist alles nur Schein. Nichts ist wahr, außer der Tatsache, dass wir es sind, die diese Illusion erleben. Daran lässt sich nicht zweifeln.
Nur MC Escher und Vasarely fehlen
In der Münchner Ausstellung sind Meisterwerke der Täuschung aus vier Jahrtausenden zusammengetragen, Bilder, Möbel, Skulpturen, Kleider. Sie mahnen uns, nicht alles zu glauben, was man uns vorsetzt. Das macht die Ausstellung nicht nur für Erwachsene zu einem Erlebnis- und Erfahrungsort. Sonderbarerweise fehlen Werke von MC Escher, dem niederländischen Meister der optischen Täuschung, ebenso wie vom französischen Op-Art Künstler Victor Vasarely, der ja ebenfalls auf dem Gebiet der Illusion ein Meister war.
Augen auf!
Solange uns Künstler auf das Problem mit der Wahrnehmung aufmerksam machen und sich und uns eine „Lust an der Täuschung“ bereiten, hat dies sogar einen pädagogischen Zweck. Wenn aber – wie es mittlerweile in der Politik und in der Wirtschaft zum Alltag zu gehören scheint (Watergate, Dieselskandal etc. etc.), dann darf man sich schon fragen, weshalb jene, die sich der angeblichen Wahrheit verpflichtet haben, diejenigen, von denen sie gewählt wurden oder denen sie ihre Waren verkaufen wollen, für so geistig minderbemittelt halten, dass sie ihnen die Lügen immer wieder unter die Nase reiben, in der Hoffnung, dass sie durch das ständige Wiederholen wahr werden.
Es steht zu fürchten, dass das negative Beispiel, mit dem der amerikanische Präsident durchaus erfolgreich ist, von Machthabern jeder Größe imitiert wird. Die Schamgrenzen sind schon längst gefallen und niemand regt sich mehr darüber auf, dass sich demokratisch legitimierte Amtsinhaber weltweit der Lüge und der Täuschung bedienen. Und selbst wenn man ihnen nachweist, dass sie betrogen haben, hat dies oft keinerlei Konsequenzen für sie.
In der französischen Revolution hat dies noch zum Umsturz und zu gänzlich neuen Machtverhältnissen geführt. Heute ist man träge geworden und flüchtet in Ersatzwelten. Die Münchner Ausstellung sollte von jedem Besucher auch dafür genutzt werden, sein eigenes Verhältnis zur Wahrheit zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern. Und sie sollte auch durchaus politisch verstanden werden – auch wenn dies gar nicht im Sinne der Ausstellungsmacher war. Die perspektivische Darstellung der Wirklichkeit hat auch immer mit unserer eigenen Wirklichkeit zu tun – und da kommt es eben auf den Blickwinkel an.
In diesem Sinne: Bleiben Sie wachsam!
Hypo Kunsthalle München aktuelle Ausstellung noch bis 13. Januar 2019: ‚Lust der Täuschung – Von antiker Kunst bis Virtual Reality‘
Theatinerstraße 8 in den Fünf Höfen, 80333 München, Tel. +49 89 22 44 12, Öffnungszeiten: täglich 10-20 Uhr (Montag halber Eintrittspreis)